KONSTRUKTION VON GEOMETRISCHEN ORNAMENTEN

"Das geometrische Ornament ist das ursprünglichste, das älteste. Die Verzierungen am Gerät wilder Stämme, die Tätowierungen der Indianer u.a.m. beweisen dieses. Die Naht mit dem schräg von einem Teil zum andern laufenden Faden mag das Vorbild der Zickzacklinie, die Wasserwoge das Vorbild der Wellenlinie, das Flechtwerk nach Art von Kette und Einschlag das Vorbild für Quadratnetzmuster, der geflochtene Zopf das Vorbild des Flechtbandes gewesen sein. Die Drehung eines gabelartigen Instruments hat zur Erzeugung der Kreislinie, die Verbindung regelmäßig verteilter Punkte hat zur Bildung der Vielecke und des Vielstrahls oder Vielsterns geführt. Die nach und nach erfolgende Entwicklung dieser ursprünglichen geometrischen Grundformen, von Stufe zu Stufe mit der steigenden Kultur und Erkenntnis sich steigernd, hat dann schließlich zu geometrischen Kunstformen geführt, wie wir sie in den maurischen Deckeneinteilungen, im gotischen Maßwerk, in der Guillochierarbeit u.s.w. bewundern. Die Ausbildung der Geometrie als Wissenschaft mit ihren Lehrsätzen und Beweisen ist der Kunst entgegengekommen und hat sie unterstützt. (...)

Die Mehrzahl aller geometrischen Ornamente läßt sich in drei Gruppen unterbringen. Entweder haben wir es mit fortlaufenden, streifenartigen Gebilden (Bändern) oder mit abgegrenzten Figuren (Füllungen) oder mit unbegrenzten Flachmustern zu tun. In allen Fällen wird der geometrischen Zeichnung eine gewisse Einteilung, eine Hilfskonstruktion oder ein Netz zugrunde liegen."


aus:

Franz Sales Meyer: Handbuch der Ornamentik. Leipzig. Seemann, 1888